Projekt SPELL: Künstliche Intelligenz in der Rettungsleitstelle
Im Notfall zählt jede Sekunde! Die Disponentinnen und Disponenten in den Rettungsleitstellen müssen innerhalb kürzester Zeit Informationen zusammentragen, Entscheidungen treffen, Fahrzeuge alarmieren und Anrufende zur Ersten Hilfe anleiten. Im Rahmen des Forschungsprojekts SPELL entwickelt das DRK in Rheinland-Pfalz gemeinsam mit externen Partnern vielfältige Möglichkeiten, um die Mitarbeitenden über eine Plattform durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zu unterstützen.
Das Beispielszenario in der Leitstelle Ludwigshafen am Rhein zeigt gut, wie künstliche Intelligenz zukünftig genutzt werden kann: Ein sonniger Vormittag, bislang ohne besondere Vorkommnisse. Die Notrufleitung klingelt, eine Disponentin nimmt den Anruf entgegen: „Notruf Feuerwehr und Rettungsdienst. In welchem Ort ist der Notfall?“ Eine sehr aufgeregte Anruferin antwortet – allerdings auf Türkisch. Die Disponentin versteht sie nicht. Ein kleines Fenster auf dem Monitor vor der Disponentin signalisiert: Türkisch erkannt – Übersetzung aktivieren? Die Disponentin klickt den Button an und erhält eine Liveübersetzung ins Deutsche: „Es brennt! Ein Zug ist entgleist und alles ist voll mit Rauch! Ich habe Probleme mit der Luft!“. Eine Karte öffnet sich und zeigt den automatisch übermittelten Standort der Anruferin. Sie befindet sich in einer Kleingartenanlage, die benachbarten Schienen führen zum Werksgelände des Chemieunternehmens BASF.
Die Disponentin fragt die weiteren Details zum Unfall ab. Sinnvolle Fragen werden ihr dabei von einer künstlichen Intelligenz vorgeschlagen. Diese berücksichtigt bei der Auswahl der Fragen alle Daten, die bereits bekannt sind, wie beispielsweise Daten aus einer internen Datenbank, die auch die wichtigsten Informationen über verschiedene gefährliche Chemikalien enthält. Auch öffentlich zugängliche Informationen wie Verkehrsdaten, Social-Media-Beiträge und in diesem Fall insbesondere die Windrichtung werden berücksichtigt. Die KI trägt all diese Informationen selbstständig zusammen und wertet sie aus.
Wichtige Informationen werden besonders hervorgehoben: „Windrichtung Süd-Ost: Wohngebiet betroffen!“ Welche Fragen die Disponentin stellt, entscheidet sie selbstständig. Die KI ist immer nur ein unterstützendes Werkzeug, eine Art „Copilot“. Nachdem die Disponentin alle wesentlichen Fragen gestellt hat, gibt sie der Anruferin die Anweisung, sich in Sicherheit zu bringen und andere Personen möglichst zu warnen.
Parallel zum Notrufgespräch werden bereits die ersten Einsatzkräfte alarmiert. Auch dabei gilt: Die KI bewertet auf Grundlage der Daten in Sekundenschnelle die Situation vor Ort, die Verkehrslage und eine mögliche Schadstoffausbreitung und schlägt dadurch passende Rettungs-Einheiten vor. Die Disponentin kann dem Vorschlag der KI folgen, sie kann aber auch eine eigene Auswahl treffen.
Die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes und der Feuerwehr werden hier durch Werkfeuerwehrkräfte der BASF unterstützt. Da auch sie an die SPELL-Plattform angeschlossen sind, ist ein Datenaustausch in Echtzeit möglich. So können alle Lagedaten wie beispielsweise Kamera- oder Drohnenbilder umgehend allen beteiligten Einsatzkräften zur Verfügung gestellt werden.
Die SPELL-Plattform wird für den vereinfachten Datenaustausch eine herstellerunabhängige Schnittstelle zur Verfügung stellen. Diese Schnittstelle ermöglicht, dass sich Einsatzkräfte nicht erst in neue Software einarbeiten müssen und keine Neubeschaffungen notwendig werden, sondern vorhandene Lösungen durch die modernen KI-Funktionen erweitert werden können.
Das DRK Rheinland-Pfalz wird in den nächsten Monaten die erste SPELL-Plattform im eigenen Rechenzentrum in Betrieb nehmen und nach der Testphase den Leitstellen in Rheinland-Pfalz zur Verfügung stellen. Auch viele andere Betreiber haben bereits Interesse bekundet, so dass sich die SPELL-Plattform bei Projekterfolg auch über die Bundeslandgrenzen hinaus ausbreiten kann. So kann SPELL zukünftig auch bei der landesübergreifenden Zusammenarbeit – etwa bei größeren Schadensereignissen – unterstützen.
Das SPELL-Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie geförderte Forschungsprojekte für das DRK sinnvoll und nachhaltig genutzt werden können. Sie bieten uns als Anwendern die Möglichkeit, gemeinsam mit Forschungsinstitutionen und Unternehmen eigene Bedarfe und Wünsche umzusetzen und unsere alltägliche Arbeit durch Innovationen zu verbessern.
Ein Beitrag von:
Simon Franke
Teamleiter Forschungsprojekte
ITC - Informations- & Technologie-Center
DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz e. V.
Bildnachweis: DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz e. V.