KI in der Wohlfahrt
In einer sich schnell wandelnden Welt nimmt die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI) kontinuierlich zu. Im Wohlfahrtssektor eröffnet KI neue Perspektiven und stellt uns vor spannende Herausforderungen. Für die News haben wir Dr. Joß Steinke, Bereichsleiter Jugend und Wohlfahrtspflege im DRK-Generalsekretariat, zum Einsatz von KI im DRK befragt und wollten mehr erfahren über die Herausforderungen, Vorzüge und Zukunftsperspektiven dieser Technologie.
Herr Steinke, welche Rolle spielt KI in der Wohlfahrt, und welche grundlegenden Veränderungen erwarten Sie dadurch im DRK?
Wir sind aktuell noch weit davon entfernt, dass KI eine zentrale Rolle in der Wohlfahrtspflege spielt. Denn zuerst müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen und das Thema Daten in den Fokus rücken. Mit Daten beschäftige ich mich schon länger, ich habe vor meiner Zeit in der Wohlfahrtspflege am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gearbeitet. Da ist alles datenbasiert. Dass die soziale Arbeit und die Wohlfahrtspflege in Bezug auf den Umgang mit Daten nicht gut aufgestellt sind, ist kein Geheimnis. Es fehlen Know-how, Zugänge und ein bisschen auch Offenheit. Wenn wir den Sektor und den Verband stärken wollen, müssen wir daran arbeiten.
Welche grundlegenden Veränderungen sich durch die neuen Techniken in der Wohlfahrt ergeben, kann ich nicht vorhersagen. Ich weiß aber: Erst wenn wir die Voraussetzungen schaffen und die Arbeit mit Daten professionalisieren, werden wir die Veränderungen selbst prägen und ihre Vorteile für uns nutzen können. Weil wir da noch nicht sind, ist KI derzeit in der Wohlfahrtspflege noch ein eher avantgardistisches Thema einer kleinen Gruppe. Ein Beispiel ist die Veranstaltung aus unserer Reihe #ZukunftWohlfahrt im November 2023. Unter dem Titel „Mit Daten & KI die Wohlfahrt von morgen gestalten“ haben wir ein wirklich tolles Programm geboten, das weit mehr Teilnehmende aus dem DRK verdient hätte. Alle, die da waren, sind sehr bereichert wieder nach Hause gefahren.
Können Sie Beispiele nennen, wo KI bereits im DRK eingesetzt wird, und wie bewerten Sie diese?
Beispiele gibt es schon einige. Viele KI-Tools wie z. B. für Sprachübersetzungen oder Suchmaschinen werden ja auch im DRK schon lange alltäglich verwendet. Darüber hinaus hat das Team des Data Science Hub (DSH) eigene Projekte initiiert. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projektteam des DSH will erproben, wo und wie datenwissenschaftliche Methoden einen Mehrwert für unsere Arbeit erzeugen können.
Ich plage mich seit Jahren mit dem Erfassen von Daten im DRK. Mit klassischen Abfragen kommen wir oft nicht weit und sind am Ende alle nur gestresst. Meine Kolleginnen versuchen in dem Projekt, Informationen zu Wohnungslosenhilfen im DRK mithilfe datenwissenschaftlicher Methoden automatisiert zu erfassen. Der Ansatz besteht darin, die öffentlich zugänglichen Websites aller DRK-Gliederungen zu analysieren. Dort sind Hilfsangebote für wohnungslose Menschen ja veröffentlicht. Wenn uns dies gelingt, kommen wir zu besseren Daten und sparen uns alle viel Aufwand, das wäre großartig.
Vieles, was im Verband läuft, wissen wir aber gar nicht. Weil dahinter Menschen im DRK stehen, die vor Ort einfach etwas ausprobieren, um vor Ort konkrete Probleme zu lösen. Manchmal kriegen wir aber doch etwas mit, zum Beispiel bei Carsten Schliz und seinem Projekt „112 – KI rettet Leben”. Er leitet die Stabstelle für Prozess und Qualitätsmanagement im DRK-Rettungsdienst am Bodensee. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Anrufer ihren Standort häufig nicht genau beschreiben und ein KI-System aufgelegt, das Schlagworte aus dem Notrufdialog extrahiert und mithilfe von Geodaten Vorschläge zum Aufenthaltsort des Hilfesuchenden macht. Das hilft der Notrufzentrale und, da jede Sekunde zählt, kann KI so Leben retten. Carsten Schilz hat uns im Blog auf der Website DRK-Wohlfahrt.de/blog ein Interview gegeben; seine generellen Einschätzungen zu KI sind sehr interessant und sicher auch für viele Leserinnen und Leser hilfreich, schaut gerne mal rein.
Welche Herausforderungen sehen Sie beim Einsatz von KI, insbesondere hinsichtlich ethischer Aspekte und Datenschutz?
Mit beiden Fragen sollte man sich beschäftigen. Datenschutz ist eigentlich eine formale Frage, da kann man Punkte abhaken. Auf der Tagung #ZukunftWohlfahrt hat uns ein Datenschutzexperte viele Sorgen genommen. Man sollte sehr bewusst mit KI umgehen und sich frühzeitig Gedanken zum Datenschutz machen. Dann geht das auch.
Ethische Aspekte sind da anders gelagert. Hier braucht es gesellschaftliche Diskurse und Abwägungen. Da können wir als DRK nur mitdiskutieren, wenn wir selbst aktiv werden. Auf unserer Tagung hat Dr. Theresa Züger vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft vorgeführt, welche, auch ethischen, Fehlentwicklungen daraus resultieren, dass man KI einfach den großen Tech-Firmen überlässt. Sie hatte ein Beispiel aus den Niederlanden gewählt. Das Land hatte eine automatisierte datenbasierte Überprüfung von Kindergeldansprüchen eingeführt, die zu rassistischer Diskriminierung geführt hat. Unser Plädoyer: Wir müssen selbst einsteigen, eigene Kompetenzen aufbauen, um KI nach ethischen Grundsätzen gestalten zu können.
Wie beurteilen Sie das Zusammenspiel zwischen menschlicher Betreuung und Unterstützung durch KI-Systeme?
Unsere Hoffnung und unser Ziel ist es, dass über KI Potentiale für mehr echte Zuwendung und Sorgearbeit freigesetzt werden. Vor allem dadurch, dass Prozesse und Verwaltungsabläufe automatisiert werden und bestimmte Tätigkeiten, die nichts mit der eigentlichen Tätigkeit zu tun haben, weniger zeitaufwendig werden.
Gleichzeitig wird es so sein, dass bestimmte Aufgaben datenintensiver sind, d. h. Personal muss KI verstehen und beherrschen. Ich komme auf das Beispiel vom Bodensee zurück: Nur wenn diejenigen, die in der Notrufzentrale den Anruf entgegennehmen, die Vorschläge der KI auch selbst gut einordnen können, fahren die Einsatzkräfte am Ende zum richtigen Ort. Das veranschaulicht das Zusammenspiel von Mensch und KI ganz gut, finde ich.
Welche Rolle spielt die Ausbildung der Mitarbeitenden im Hinblick auf den zunehmenden Einsatz von KI in der Wohlfahrt?
Es beginnt mit der Einstellung. Wir brauchen eine kritische Neugier und Offenheit gegenüber der Arbeit mit Daten und KI. Und manchmal auch etwas Mut. Dazu kann man nur ermuntern, was ich hiermit gern tue.
Und dann geht es in zweiter Linie in der Tat um Kompetenzen und Know-how. Wir sind überzeugt, dass es ideal wäre, wenn auch die Gliederungen des DRK Datenexpertinnen oder -experten hätten. Wir haben das bei uns im Data Science Hub. Das hilft einfach sehr, gerade wenn man Projekte mit „Techies“ gemeinsam umsetzen will.
Und dann braucht es Fortbildungen und Schulungen. Wir bieten beispielsweise eine frei verfügbare rund 30-minütige digitale Fortbildung unter drk-lernplattform.de an. Der Kurs heißt „Was sind Daten?“ und ist für alle Haupt- und Ehrenamtlichen kostenfrei offen. In Planung ist zudem eine Datenakademie, die wir gemeinsam mit der DRK-Service GmbH für den ganzen Verband aufsetzen wollen, da darf man sehr gespannt sein. Und schließlich möchte ich noch anmerken, dass sich das Team rund um Jasmin Rocha sehr gut auskennt. Es lohnt sich, auch das Interview mit Jasmin im Blog einmal zu lesen.
Wie stellen Sie sich die Zukunft der Wohlfahrt und des DRK mit fortschreitender Integration von KI-Technologien vor?
Digitalisierung, Daten und KI werden die gesamte Arbeit in der Wohlfahrtspflege verändern, hoffentlich zum Positiven. Die Chance sehe ich. Ich bin mir sicher, dass echte Zuwendung zum knappsten und begehrtesten Gut der Zukunft wird. Das ist das, was das DRK und die gesamte Wohlfahrtspflege besonders auszeichnet.
Allerdings gibt es eine Frage, um die wir uns im DRK gern drücken. Es ist leider so, dass wir die meisten Herausforderungen, vor die uns der KI-Trend stellt, nicht auf der Ebene von Kreisverbänden lösen können. Schaffen wir es, zu gemeinsamen Ansätzen, Lösungen und Vorgehensweisen über alle oder möglichst viele Kreis- und Landesverbände hinweg zu gelangen? Im Moment gibt es dafür nicht so viele Anzeichen, aber wir geben nicht auf.
Vielen Dank für das Interview.